Den Nicknack drupseln


Sie schaut über den Rand ihrer Brille auf mich herab als betrachte sie ein kleines und etwas ekliges Insekt. Sie ist sehr streng, meine Klavierlehrerin und ich war nicht sehr gut heute. Ich war noch nicht einmal annährend
gut . Das liegt daran, dass ich völlig unmusikalisch bin. Aber das darf sie nicht merken sonst ist alles verloren.
Während ich unter ihrem Blick immer kleiner werde, scheint sie zu überlegen ob sie mich gleich zertreten oder mich noch dieses eine Mal mit einem Glas überstülpen und hinaus befördern soll. Ich versuche mich zu retten indem ich sie verzweifelt frage: „Was kann ich denn tun?“
„Du musst daran denken, den Nicknack zu drupseln!“, antwortet sie scharf. „Wie oft soll ich dir das noch sagen?“
„Aber ich weiß nicht wie ich den Nicknack drupseln kann“, verteidige ich mich kleinlaut.
„Ach, tu doch nicht so!“ erwidert sie und dreht sich abrupt weg, um in einigen Partituren zu blättern. Meine Stunde ist um, ich bin entlassen. Erleichtert schleiche ich mich zum Ausgang. Ich trete aus der Tür und bin in einem Park. Um mich herum stehen lauter Nicknacks und starren mich an. Wenn ich sie doch jetzt nur zu drupseln wüsste. Hilflose Wut treibt mir die Tränen in die Augen. Zu allem Überfluss fangen die Knicknacks jetzt auch noch an, mich wegen meiner Unfähigkeit auszulachen. Ihr lachen klingt dabei recht sonderbar, ein wenig wie piep-piep, piep-piep, piep-piep...

...piep-piep macht mein Wecker ein letztes Mal bevor mein Autopilot aus dem Kleinhirn ihn mit einem Schlag auf die Snooze-Taste vorläufig zum Schweigen bringt.
Schichtwechsel im Gehirn. Frau Tagbewusstsein ist soeben zur Betreuung meines Ichs im Büro erschienen und Frau Tiefenbewusstsein hat gleich Feierabend.
Frau Tiefen trägt ein dunkelblaues Rauchkleid mit silbernen Stickereien und sitzt inmitten jenes heillosen Durcheinanders, das sie jede Nacht in meinen Unterlagen veranstaltet. Sie hält das für gesund.
Frau Tag in ihrem adretten grauen Businesskostüm mit gelber Bluse seufzt nur und schüttelt den Kopf als sie das Chaos überblickt.
Frau Tiefen kichert in sich hinein und mit ihrer rauhen Whiskeystimme informiert sie Frau Tag über die neuesten Ereignisse. Dabei überreicht sie ihr einen gelben Notizzettel mit der Auschrift: „Nicknack drupseln!“
„Na? Wie findest du das?“, fragt Frau Tiefen strahlend.
„Nicht besonders!“, antwortet Frau Tag scharf. „Erstens hat Ich sich in deinem Traum gefürchtet und zweitens: Was soll das denn sein? Den „Nicknack drupseln“? Hm?
„Ach, komm schon! Tu doch nicht so!“, ruft Frau Tiefen empört. Sie erinnert uns beide in diesem Moment sehr an unsere strenge Klavierlehrerin aus Kindertagen bis Frau Tag mir zuflüstert, dass wir nie Klavierunterricht hatten. Es ist verwirrend, finde ich.
Frau Tiefen rafft unterdessen ihre Traumschleier, Filmweber, Inuenndoaffen und Spinnkobolde zusammen und verlässt mit wehendem Kleid den Raum. Mit ihr verschwindet das blaue Schummerlicht und starke Neonröhren verbreiten nun klare Helligkeit.
Frau Tag wirkt nach diesem Abgang etwas ratlos und pinnt den gelben Zettel vorsichtshalber an die To-Do-Pinnwand.
„Ich bin gleich soweit, Liebes.“, sagst sie dann. „Dauert nur noch einen kleinen Moment.“
Ich nicke ihr zu und schicke ein zweites Mal den Autopiloten zur Snooze-Taste.
Frau Tag beginnt nun Ordnung zu schaffen. Sie fügt meine Identitätskarten in der richtigen Reihenfolge zusammen, ordnet meine Wirklichkeitskonstruktion in das Raum-Zeit-Gefüge ein und sortiert geschickt die erforderlichen Handlungsroutinen für den heutigen Einsatz.
„Fertig! Es kann losgehen.“ verkündet sie dann und schiebt mir den Tagesplan rüber.
Als erstes steht dort die „Fünf-Punkte-Morgenroutine“. Alles klar!
Zwischen den Punkten „Duschen und Anziehen“ und „Frühstück machen“ klingelt es an der Tür. Gelassen schiebt mir Frau Tag die Handlungsanweisung für „Tür öffnen und nachsehen wer da ist“ rüber. Da ist ein Mann mittleren Alters mit einem Allerweltsgesicht und in einem Allerweltsanzug. Er trägt eine kleine Plastikkarte mit Foto um den Hals, die ihn vermutlich seriös aussehen lassen soll. Ich ahne Schreckliches. Er nennt mir seinen Allerweltsnamen, den ich sofort wieder vergesse und fragt mich, ob ich nicht (selbstverständlich) daran interessiert bin bei meinen jetzigen Telefontarif Unmengen Geld zu sparen. Er bräuchte bloß 5 Minuten meiner geschätzten Zeit um mich über seinen grandiosen und absolut einmaligen Supertarif zu informieren.
Panik steigt in mir auf. Ich wende mich an Frau Tag. „Ich brauche was zum Abwimmeln!“, sage ich.
„Bin schon dabei!“ ruft sie und durchsucht hektisch das Büro während das Allerweltslächeln auf den Lippen des Mannes vor der Tür noch verbindlicher wird.
„Schnell!“ rufe ich Frau Tag zu.
„Hier! Probier das!“ sagt sie und drückt mir einen gelben Notizzettel in die Hand.
„Hm“, sage ich zu dem Mann „kann man denn in ihrem Tarif auch den Nicknack drupseln?“
„Den was?“ fragt er. Das verbindliche Lächeln weicht echter Verblüffung. Jetzt wirkt er fast menschlich.
„Ach, tun Sie doch nicht so!“, rufe ich empört und knalle die Wohnungstür zu. Ich hoffe, er hält mich jetzt für bescheuert genug um hier nicht mehr zu klingeln.
Ich gebe Frau Tag den Zettel zurück. „Hat funktioniert.“, sage ich.
Sie nickt zufrieden. Dann stempelt sie ein grünes „nützlich“ auf den Zettel und heftet ihn unter „Abwehrzauber“ ab.
Zur Belohnung holt sie eine Packung gute Laune aus ihrer Tasche und bietet mir ein Stück davon an bevor ich mit „Frühstück“ weiter mache.
Irgendwo im Hirnstamm höre ich Frau Tiefen lachen...

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